Wie viel oder wenig so eine Philosophie konkret umfasst liegt am jeweiligen Club. Aber ich denke, wenn du schreibst, dass sie entweder zu komplex ist, um sie zu implementieren oder zu trivial, um einen Unterschied zu machen, dann ist mir das wiederum zu simpel.Shafirion hat geschrieben: ↑Fr 8. Apr 2022, 18:41Also ich will jetzt sicher keiner kopflosen Kaderpolitik das Wort reden. Ich bin auch überzeugt davon, dass unsere Kaderpolitik zuletzt etwas kopflos war (Malen als Sancho Ersatz, bei Schulz hätte man vermutlich erkennen können, dass er vor allem im Umschaltspiel stark ist; bei Brandt bin ich mir nicht so sicher, das sah in Leverkusen teils so stark aus, dass ich gut verstehen kann, warum man zugreift, obwohl man gewisse Defizite erkennt).Pew hat geschrieben: ↑Do 7. Apr 2022, 13:23
Da würde ich schon deutlich wiedersprechen. Also erstmal hatte vor Guardiola und Klopp kaum ein Club (außer Ajax und Barca) eine übergeordnete Philosophie. Die beiden haben aber in ganz Europa Clubverantwortliche und nachfolgende Trainer davon überzeugt, wie effektiv so eine auf vielen/allen eben konsequent umgesetzte Spielidee sein kann.
Und da geht es dann aus Clubsicht auch nicht unbedingt darum, dass jeder Trainer ein Klon des Vorgängers ist, sondern, dass man gewisse Eigenschaften bzw Standards von seinen Spielern und Trainern erwartet und durchsetzt. Bei Barca, City, Bayern und Ajax sind das relative eindeutig die Cruyffschen bzw Pepschen Tugenden, bei den Dosen geht es eher in Richtung Rangnick oder Klopp.
Wir hatten das natürlich auch für eine Weile, während Klopp da war, nur ist das nach seinem Abgang Jahr um Jahr immer weiter verloren gegangen, bis wir irgendwann bei so Leuten wie Brandt gelandet sind, die selbst mit bestem Willen nicht in der Lage sind ein halbwegs vernünftiges Pressing zu spielen, Guerreiro muss man aktuell wohl leider auch in diese Ecke stellen und allgemein ist es doch, wenn man bedenkt, was uns vor 10 Jahren stark gemacht hat, ein Witz, dass wir ein riesen Tempo-Defizit im Team haben.
Und wenn man den Verantwortlichen glauben darf, dann hat man das als Problem erkannt und beginnt jetzt wieder Gegenzusteuern. Das heißt nicht, dass man sich fragt, ob jeder Trainer Klopp ist, aber ich denke/hoffe, dass man als Club sagt "unser Weg zum Erfolg beinhaltet (unter anderem!) ein intensives Pressing- und Umschaltspiel, das heißt wir holen jetzt nur noch Spieler, von denen wir uns eine gute Pressingleistung und die nötige Dynamik für ein mitunter offenes Spiel versprechen. Oder "wir wollen konstruktiven Spielaufbau sehen, also holen wir nur Verteidiger, die einen gewisses Minimum am Ball erfüllen".
Mit geht es mehr um die Idee einer allem übergeordneten Clubphilosophie, der dann alles untergeordnet wird. Natürlich wird man sich erstmal hinstellen und sagen: Nach den Überraschungserfolgen unter Klopp können wir irgendwann nicht mehr über schnelles Konterspiel kommen, weil die Gegner uns das Spiel überlassen. Also geht der Fokus zum Ballbesitzspiel. Fair. Aber da gibt es ja immer noch viele Konzepte. Wir haben mit Bosz jemanden geholt, der auf dem Papier gut gepasst hat. Junger, hipper Trainer, der mit Ajax Erfolge hatte und der Fußball sah da sehr ansehnlich aus. Dann verliert die Mannschaft irgendwann den Boden unter den Füßen (die Gründe sind ja erstmal egal). Wenn man dann irgendwwann die Reißleine zieht, stellt sich natürlich schon die Frage, ob man sagt: Unsere Philosophie ist und bleibt rauschender Offensivfußball. Oder ob man nicht erstmal den Schwerpunkt auf defensive Stabilität und auf eine etwas biedere Lösung wie Stöger setzt, die Kurzfristig Ruhe reinbringt, aber sicher auch einer nachhaltigen Entwicklung eher abträglich ist. Dann hat man mit Favre wieder einen klaren Konzepttrainer geholt, um festzustellen, dass dessen Fußball auf Dauer auch als zu unattraktiv empfunden wird. Bei Rose hätte ich jetzt auch gedacht, dass geht mehr in Richtung Bosz, aber das trifft irgendwie leider nur die defensive Anfälligkeit zu, während ich kein Konzept erkennen kann.
Generell ist es halt so, dass man normalerweise Probleme in der Reihenfolge ihres Auftretens angeht. Wir haben ja sicher auch zu keinem Zeitpunkt bewusst enstschieden: Wir legen jetzt keinen Wert mehr auf Pressing. Und ich würde auch mal behaupten, wir haben auch in den letzten Jahren bei unseren Verteidigern auf ein gewisses Minimum am Ball Wert gelegt (auch wenn z.B. Meunier und Schulz das am Ende nicht so ganz bestätigt haben). Aber ich halte es einfach für unrealistisch, dass wir vorab eine elaborierte Philosophie entwickeln, die dann gewissermaßen in jeder Hinsicht den Weg vorgibt. Und das ist ja das, was der überzeichneten Variante des "philosophie-orientieren" Ansatz letztlich zugrunde liegt. Und dazu mit den üblichen Vereinfachungen: Das ist die gleiche Logik wie bei Forderungen wie "nur noch auf Spieler setzen, die absolut zum BVB wollen", "einfach durchweg leistungsbezogene Verträge machen"; oder eben "einfach mal eine Vereinsphilosophie entwicklen". Das klingt halt so viel einfacher als es in Wahrheit ist.
Am Ende fällt man immer auf ein strukturelles Problem zurück. Entweder die Philosophie ist sehr ausgefeilt. Dann wird man große Schwierigkeiten haben, das Personal zu finden, das ernsthaft in die Schablone passt. Oder man legt sich auf ein paar Dinge fest (wir müssen Ballbesitzfußball spielen können; wir müssen [besser] pressen können; wir wollen durchweg Tempo im Spiel, usw. usf.), die an sich selbstverständlich sind (auch wenn sie vielleicht gerade nicht so funktionieren) und verkauft das halt als die Clubphilosophie.
Die Verpflichtung Favres war durchaus eine bewusste Abkehr vom Pressing, in dem Sinne, dass jedem klar war, dass er das kaum praktiziert. Und die von mir markierten Teile sind doch genau das, was bei uns falsch gelaufen ist: Wenn man nicht konsequent einen übergeordneten Plan verfolgt, dann kann selbst eine Ansammlung von (in der individuellen Betrachtung) sinnvoll erscheinenden Entscheidungen ein widersprüchliches Gesamtbild ergeben. Es ist ja kein Zufall, dass mit Terzic mitten in der Saison eine stilistische 180° Wende vollzogen wurde oder dass Rose jetzt davon erzählt wie viele Transferperioden man wohl braucht, um den Kader umzubauen. Da ist einem igendwann aufgefallen, dass der gezeigte Fußball nicht dem entspricht was der Verein sehen möchte (und das nicht nur in qualitativer Hinsicht) und, dass der Kader zu keiner Spielidee so konsequent passt. Und deshalb ist es eben wichtig, dass man (wieder) klar definiert was für einen Fußball man sehen möchte und welche Art von Spielern dafür nötig ist und wenn man dann auch noch Trainer holt, die eine ähnliche Auffassung von Fußball haben, dann kommt man hoffentlich mal wieder dahin, dass man nicht mehr alle 1-2 Jahre den nächsten Umbruch ausrufen muss.