Tschuttiball hat geschrieben: ↑Di 1. Apr 2025, 22:33
Shafirion hat geschrieben: ↑Di 1. Apr 2025, 22:07
Aber man kann nicht einfach so unmittelbar von den schwachen Leistungen auf eine Fehleinschätzung schließen, wie das hier durch die Bank geschieht (und zwar schon deshalb nicht, weil es ja in Form seiner bisherigen Leistungen offensichtliche objektive Gründe gibt, die die Erwartungen in ihn rechtfertigen).
Und wann darf man denn urteilen? Nach 2 Jahren? Nach 3?
Ich schlage vor: wir schauen nach der Rückrunde 2025/26 nochmals. Dann sollte man hoffentlich eine Bewertung abgeben dürfen, oder wann?
Die Frage zeigt doch offensichtlich, dass wir aneinander vorbeireden.
Mir geht es um die Frage, wie Coutos künftige Entwicklung ex ante (also zum Zeitpunkt der Entscheidung) absehbar war. Nehmen wir zu analytischen Zwecken mal an, dass eine 70%ige Wahrscheinlichkeit bestand, dass Couto sofort einschlägt (wie auch immer man erstere ermitteln und letzteres definieren mag): Dann wird diese Wahrscheinlichkeit nicht nachträglich kleiner, weil er in den ersten 10, 15 oder 27 Spielen schlecht spielt. Auch nach 2 oder 3 Jahren nicht.
Jeder kann urteilen, wann und nach welchem Maßstab er will. Die Frage ist, wie belastbar das Urteil ist. Der Maßstab kann auch lauten: Wenn der Spieler gut spielt, war Kehl schlau; wenn er schlecht spielt, war Kehl dumm. Ein solches Maßstab ist halt nur dermaßen unterkomplex, dass man auf seiner Grundlage nicht ernsthaft Entscheidungsprozesse evaluieren kann. Natürlich verfährt niemand so schlicht. Aber es ist eine wissenschaftlich gut erfortschte kognivitve Verzerrung, dass man unterbewusst doch so verfährt - und genau das geschieht. Man sieht Coutos Leistungen und sagt sich: Da muss Kehl blind gewesen sein. Natürlich haben die gezeigten Leistungen eine gewisse indizielle Bedeutung, die Aussagekraft kann nur sehr unterschiedlich stark sein. Manchmal iust die Evidenz sehr mächtig. In Coutos Fall ist aber offensichtlich komplizierter, weil er ja in der Vergangenheit schon nachweisbar auf hohem Niveau gut performt hat. Weil aber die kognitive Verzerrung so stark ist, ist es halt eine menschliche Neigung, die Realität so anzupassen, dass sie zur These von der offensichtlichen falschen Entscheidung passt. Typisches Symptom hier ist die Behauptung, er könne halt keine Viererkette. Da hat man eine schöne Erklärung, für den offensichtlichen Fehler. Das Problem ist, dass sie leicht als Scheinerklärung zu enttarnen ist. Also nächster Versuch: Vor einem Transfer dieser Größenordnung hätte man eine sorgfältige Kosten-Risiko-Analyse durchführen müssen. Glaubt denn allen ernstes irgendjemand, dass man solche Transfers ohne eine solche Analyse tätigt? Nur ist eine solche Analyse kein Allheilmittel.
Wozu solche Denkfehler führen, hat Deine Argumentation deutlich gezeigt: Du sagst, die Transferstrategie war zu hinterfragen, weil man auch für weniger Geld jemanden hätte bekomen können, der nicht schlechter spielt als Couto. Dabei werden Ex-ante- und Ex-post-Betrachtung vollkommen vermengt und dadurch entsteht die nächste kognitive Verzerrung. Die Transferstrategie war ja offensichtlich, auf eine "große Lösung" auf der AV-Position zu setzen. Selbst wenn der Couto-Transfer ein glasklar vorausssehbares Debakel gewesen wäre, das nur Kehl nicht erkannt hat, würde dadurch die Transferstrategie nicht "schlecht". Man hätte nur bei identischer Strategie auf einen anderen Spieler setzen müssen. Du hingegen sagst, man hätte auf eine völlig andere Strategie setzen müssen (eine "kleine Lösung" auf der AV-Position). Eine solche Argumentation ergibt aber nur dann Sinn, wenn man Kehl unterstellt, er hätte sehenden Auges einen Fehltransfer getätigt.
Von der Beurteilung der alten Entscheidung grundlegend zu unterscheiden ist die Frage, wie man mit Couto jetzt umgeht. Das erfordert wieder eine neue Prognose, die leider auch schwerfällt. Grund dafür ist wiederum der Umstand, dass so ein großer Unterschied besteht zwischen den Leistungen vor und nach dem Transfer zu uns. Beide Fragen hängen miteinander zusammen, dürfen aber nicht verschliffen werden.
Ich benutzt jetzt aus analytischen Gründen mal stark unterkomplexe Beispiele. Nehmen wir an, Couto kann aus irgendwelchen Gründen in der Bundesliga nicht erfolgreich spielen, aber in allen anderen Ligen. Dann wäre für die neue Prognose klar, dass man ihn abgeben muss. Mitnichten stünde damit fest, dass die alte Prognose unfundiert war. Das hängt davon ab, ob die Inkompabilität zur Bundesliga erkennbar war. Nehmen wir stattdessen an, dass Couto immer ein Jahr braucht, um Fuß zu fassen. Das würde für die neue Prognose bedeuten, dass es rational wäre, weiter Geduld zu haben. Für die Evaluation der alten Prognose käme es zunächst wiederum darauf an, ob dieses "Entwicklungsjahr" vorher erkennbar war. War es das, müsste man fragen, ob es rational vertretbar war, das "Entwicklungsjahr" in Kauf zu nehmen. Auch das lässt sich begründen, aber insofern bin ich bei Dir: Bei Transfers dieser Größenordnung kann man sich das nicht leisten. Bis das ein Kriterium wird, muss man aber erst mal diverse Hürden in der Evaluation überwinden.
Sorry, wenn ich jetzt ins Dozieren gekommen bin. Aber das ist halt das, was ich beruflich tue: über Kausalitäten, Perspektiven, Entscheidungsprozesse und Verantwortung forschen. Mir ist natürlich auch klar, dass das Fußballgeschäft in gewisser Weise unterkomplex ist und teils durchaus nach dem Prinzip funktioniert: War der Transfer gut, hatte Kehl recht, war er schlecht, wackelt Kehls Stuhl. Man ist aber gut beraten, etwas besonnener vorzugehen. Unsere Abwärtsspirale hat auch damit zu tun, dass wir das nicht immer schaffen. Bei Favre war eine Vizemeisterschaft zu wenig, bei Terzic eine CL-Teilnahme. Da spielen auch Fehler bei Prognosen mit rein. Bei Favre hieß es hier immer: Der Kader ist so toll, wir bräuchten nur einen halbwegs guten Trainer. Natürlich könnten wir jetzt sagen: Kehl hatte zwei Jahre keinen großen Erfolg, also weg mit ihm und genau so kann man mit Kovac verfahren. Das bedeutet aber alles Unruhe, Abfindungen, Verschleiß. Deshalb sollten solche Entscheidungen auf Basis einer möglichst differenzierten Analyse erfolgen.
Insofern auch eine Warnung vor Allgemeinplätzen wie "bei Transfers dieser Größenordnung kann man sich kein Risiko leisten". Das klingt wahnsinnig überzeugend, ist es aber nicht, weil man das Risiko nicht "wegkaufen" kann. Natürlich gibt es eine Korrelation, weil sich der Marktpreis letztlich auch auf Basis einer Prognose errechnet. Aber Transfers jeder Größenordnung können scheitern und scheitern regelmäßig, weshalb es jede Saison unzählige Spieler gibt, die 20, 30, 50 oder mehr Millionen gekostet haben, deren Transfers sorgfältig abgewogen und ex ante sinnvoll waren, die aber dann aus irgendwelchen nicht oder schlecht vorhersehbaren Gründen nicht die Erwartungen erfüllen.