Historisches Urteil

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Historisches Urteil

#1 Beitrag von Schwejk » Di 5. Mai 2020, 10:46

Milliardenprogramm der EZB ist teilweise verfassungswidrig
Es ist ein wegweisendes Urteil: Das Bundesverfassungsgericht hat milliardenschwere Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank als teilweise grundgesetzwidrig beanstandet
(SPON)

Das BVerfG sieht hier eine Kompetenzwidrigkeit des EuGH, verpflichtet die EZB zu der "Hausaufgabe", die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen nachzuweisen. Das dürfte allerdings diese zwar Mühe kosten, ihr aber gelingen.

Bedeutsamer sicherlich die unabwägbaren Konsequenzen für den Rechtsgehorsam nationaler Gerichte hinsichtlich der Entscheidungen des EuGH.
Wie lange bleiben wir noch Gefangene des Terzic-Fußballs?
How long, Jah, must we suffer, how long must we see that pain?

https://www.youtube.com/watch?v=a2eWJCfKbJI

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Re: Historisches Urteil

#2 Beitrag von El Emma » Di 5. Mai 2020, 21:03

Joa, is jetz auned grad mein Lieblingsthema. ;)
Aber wahrscheinlich haben die Verfassungsrichter da recht, dass das so nicht geht.
Korrigiere: Die haben natürlich immer Recht!
Allen ist das Denken erlaubt, doch vielen bleibt es erspart
(Curt Goetz)

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Re: Historisches Urteil

#3 Beitrag von Tschuttiball » Di 5. Mai 2020, 22:24

Sehr interessant. Ja das ist es...

:lol: :mrgreen: ;)
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Re: Historisches Urteil

#4 Beitrag von Schwejk » Di 5. Mai 2020, 22:34

Tschutti, ich nehme an und hoffe gleichzeitig, daß deine Zeile nicht ironisch gemeint ist. :)
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https://www.youtube.com/watch?v=a2eWJCfKbJI

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Re: Historisches Urteil

#5 Beitrag von Stumpen » Di 5. Mai 2020, 23:43

... die EU als Staatenverbund ist an das Demokratieprinzip gebunden, und sie ist eine Rechtsgemeinschaft. Diese Botschaft muss ausstrahlen – gerade auch nach Osteuropa. Das ist nicht das Ende der EU, aber hoffentlich das Ende ihrer bürgerfernen, selbstherrlichen Form.
https://www.faz.net/einspruch/ezb-urtei ... 55183.html
Die Finanzhoheit hat der Bundestag, nicht die EZB.
Doch auch eine proeuropäische Politik muss sich an Recht und Verhältnismäßigkeit halten. Der Souverän sind hier und heute die Bürger der Nationalstaaten, nicht ein imaginiertes europäisches Volk. Die Finanzhoheit haben die nationalen Regierungen, nicht Brüssel oder die EZB.
https://www.tagesspiegel.de/politik/wer ... 02860.html

... kann man doch so unterschreiben.
"Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende."

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Re: Historisches Urteil

#6 Beitrag von Schwejk » Di 5. Mai 2020, 23:54

Eine Bewertung, die imho nicht locker & flockig von der Hand zu weisen ist:

Das Urteil beinhaltet ein Potential gravierender Folgen nicht nur (vielleicht sogar am wenigsten) für die künftige EZB-Politik, sondern vor allem für die Stellung des EuGH, dessen Autorität sicherlich geschwächt wird in seiner Abwehr autokratischer Aushöhlung demokratischer Werte und rechtsstaatlicher Normen, z.B. durch Orbán, Kaczyński &Co..
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Re: Historisches Urteil

#7 Beitrag von Tschuttiball » Mi 6. Mai 2020, 11:01

Schwejk hat geschrieben: Di 5. Mai 2020, 22:34 Tschutti, ich nehme an und hoffe gleichzeitig, daß deine Zeile nicht ironisch gemeint ist. :)
Nein, aus einer rein Schweizer-Brille betrachtet welche den europäischen Gerichtshof, bezogen auf unsere Gesellschaft & Rechtsstaatlichkeit, nicht besonders zugeneigt ist. Ich beobachte deshalb dieses "Geplänkel" unter dem Aspekt eines Amüsement - nichts für ungut ;)
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Re: Historisches Urteil

#8 Beitrag von Schwejk » Mi 6. Mai 2020, 11:34

Tschuttiball hat geschrieben: Mi 6. Mai 2020, 11:01
Schwejk hat geschrieben: Di 5. Mai 2020, 22:34 Tschutti, ich nehme an und hoffe gleichzeitig, daß deine Zeile nicht ironisch gemeint ist. :)
Nein, aus einer rein Schweizer-Brille betrachtet welche den europäischen Gerichtshof, bezogen auf unsere Gesellschaft & Rechtsstaatlichkeit, nicht besonders zugeneigt ist.
Der EuGH hat die Aufgabe zu gewährleisten, daß das EU-Recht in allen EU-Mitgliedsländern auf die gleiche Weise angewandt wird, und dafür zu sorgen, daß EU-Mitgliedsländer und EU-Institutionen das EU-Recht einhalten. Bekanntlich gehört die Schweiz nicht zur EU, so daß der EuGH für die Schweiz nicht zuständig ist.

Allerdings hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) *) bereits mit Schweizer Fällen befaßt, etwa:

https://www.humanrights.ch/de/menschenr ... aelle-dok/

-----
*) https://de.wikipedia.org/wiki/Europäisc ... chenrechte
Ich beobachte deshalb dieses "Geplänkel" unter dem Aspekt eines Amüsement - nichts für ungut ;)
Ich hoffe, daß du zumindest das erwähnte Szenario der Folgen dieser Gerichtsentscheidung (dieses "Geplänkels"?), also das Öffnen der "Büchse der Pandora" zugunsten von Orbán & Co., nicht (zynisch ;-)) mit einem amüsierten Schmunzeln betrachtest. *Nothing for ungood* ;-)
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Re: Historisches Urteil

#9 Beitrag von Tschuttiball » Mi 6. Mai 2020, 12:02

Ne nix für ungut.

Den zentralen Satz hast ja selbst gesagt:
Bekanntlich gehört die Schweiz nicht zur EU, so daß der EuGH für die Schweiz nicht zuständig ist.
Alles gut :mrgreen:
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Re: Historisches Urteil

#10 Beitrag von Optimus » Mi 6. Mai 2020, 12:12

Schwejk hat geschrieben: Di 5. Mai 2020, 23:54 Eine Bewertung, die imho nicht locker & flockig von der Hand zu weisen ist:

Das Urteil beinhaltet ein Potential gravierender Folgen nicht nur (vielleicht sogar am wenigsten) für die künftige EZB-Politik, sondern vor allem für die Stellung des EuGH, dessen Autorität sicherlich geschwächt wird in seiner Abwehr autokratischer Aushöhlung demokratischer Werte und rechtsstaatlicher Normen, z.B. durch Orbán, Kaczyński &Co..
EZB-Urteil: Querschläger aus Karlsruhe
Allerorten klopfen sich nun Nationalisten auf die Schulter. Die rechtspopulistische Regierung von Polen brüstete sich am Dienstag prompt, das EZB-Urteil bestätige nun auch die Linie Warschaus im Rechtsstaatsstreit mit der EU-Kommission:
https://www.rnd.de/wirtschaft/ezb-urtei ... 55GHM.html
Optimisten, Pessimisten - letztlich liegen beide falsch. Aber der Optimist lebt glücklicher.
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Re: Historisches Urteil

#11 Beitrag von Schwejk » Mi 6. Mai 2020, 12:19

Optimus hat geschrieben: Mi 6. Mai 2020, 12:12
Schwejk hat geschrieben: Di 5. Mai 2020, 23:54 Eine Bewertung, die imho nicht locker & flockig von der Hand zu weisen ist:

Das Urteil beinhaltet ein Potential gravierender Folgen nicht nur (vielleicht sogar am wenigsten) für die künftige EZB-Politik, sondern vor allem für die Stellung des EuGH, dessen Autorität sicherlich geschwächt wird in seiner Abwehr autokratischer Aushöhlung demokratischer Werte und rechtsstaatlicher Normen, z.B. durch Orbán, Kaczyński &Co..
EZB-Urteil: Querschläger aus Karlsruhe
Allerorten klopfen sich nun Nationalisten auf die Schulter. Die rechtspopulistische Regierung von Polen brüstete sich am Dienstag prompt, das EZB-Urteil bestätige nun auch die Linie Warschaus im Rechtsstaatsstreit mit der EU-Kommission:
https://www.rnd.de/wirtschaft/ezb-urtei ... 55GHM.html
Geht also schon los. Nicht einmal die Geschwindigkeit, mit der das erfreut aufgegriffen und für eigene unappetitliche Zwecke instrumentalisiert wird, kann überraschen. Ein Bärendienst für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Edit (zitiert aus dem angegebenen Link):
Ein lauter Knall hallt quer durch Europa (außer durch die Schweiz ;), SCNR; SJ) - de facto jedoch haben die Kläger ihr Ziel verfehlt.
Das EZB-Anleiheprogramm kann unter bestimmten Bedingungen weiter gehen.
Die politischen Vibrationen des Verfassungsgerichtsurteils aber sind enorm.
Zuletzt geändert von Schwejk am Mi 6. Mai 2020, 12:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Historisches Urteil

#12 Beitrag von Schwejk » Mi 6. Mai 2020, 12:28

Tschuttiball hat geschrieben: Mi 6. Mai 2020, 12:02 Ne nix für ungut.

Den zentralen Satz hast ja selbst gesagt:
Bekanntlich gehört die Schweiz nicht zur EU, so daß der EuGH für die Schweiz nicht zuständig ist.
Alles gut :mrgreen:
Nix für ungut, aber es sind durchaus einige Fälle des Interesses an Vorgängen und Prozessen außerhalb des eigenen Hauses überliefert. Zumal Einströmungen solch Ungeistes in dasselbe nicht auszuschließen bzw. vielmehr zu erwarten sind. Aber mag's! Besser imho aber: Take care. ;-)
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Re: Historisches Urteil

#13 Beitrag von Tschuttiball » Mi 6. Mai 2020, 14:04

:lol:
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Re: Historisches Urteil

#14 Beitrag von Schwejk » Mi 6. Mai 2020, 19:06

Warum Osteuropas Rechtspopulisten über deutsche Richter jubeln
Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes zur Europäischen Zentralbank kann die rechtspopulistischen Regierungen in Polen und Ungarn bestärken. Sie bauen dort die Demokratie immer weiter zurück. (…)

Das ungarische Nachrichtenportal 444.hu schreibt, die Folgen des deutschen Urteils seien schlimmer als der Brexit. Das Ausscheren der Briten sei ein beklagenswerter Einzelfall, aber mit dem Kompetenzverlust des EuGH verliere die EU grundsätzlich die Fähigkeit, gemeinsame demokratische Werte unter seinen Mitgliedern zu wahren.

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... bfbb527122
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Re: Historisches Urteil

#15 Beitrag von Thorsten » Mi 6. Mai 2020, 21:00

Schwejk hat geschrieben: Mi 6. Mai 2020, 19:06 Warum Osteuropas Rechtspopulisten über deutsche Richter jubeln
Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes zur Europäischen Zentralbank kann die rechtspopulistischen Regierungen in Polen und Ungarn bestärken. Sie bauen dort die Demokratie immer weiter zurück. (…)

Das ungarische Nachrichtenportal 444.hu schreibt, die Folgen des deutschen Urteils seien schlimmer als der Brexit. Das Ausscheren der Briten sei ein beklagenswerter Einzelfall, aber mit dem Kompetenzverlust des EuGH verliere die EU grundsätzlich die Fähigkeit, gemeinsame demokratische Werte unter seinen Mitgliedern zu wahren.

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... bfbb527122
und so interpretiert jeder in das urteil das hinein, was er gerne hören möchte. die einen sagen: 'ha, siehst du? der eugh ist gar nicht so stark.' die anderen sagen:'big deal, karlsruhe hat der ezb gesagt, sie muss jetzt jedes mal zwei seiten dokumentation mehr schreiben und dann ist alles gut.'
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Re: Historisches Urteil

#16 Beitrag von El Emma » Mi 6. Mai 2020, 21:28

Schwejk hat geschrieben: Mi 6. Mai 2020, 19:06 Warum Osteuropas Rechtspopulisten über deutsche Richter jubeln
Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes zur Europäischen Zentralbank kann die rechtspopulistischen Regierungen in Polen und Ungarn bestärken. Sie bauen dort die Demokratie immer weiter zurück. (…)

Das ungarische Nachrichtenportal 444.hu schreibt, die Folgen des deutschen Urteils seien schlimmer als der Brexit. Das Ausscheren der Briten sei ein beklagenswerter Einzelfall, aber mit dem Kompetenzverlust des EuGH verliere die EU grundsätzlich die Fähigkeit, gemeinsame demokratische Werte unter seinen Mitgliedern zu wahren.

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... bfbb527122
Also, wenn wir das mit der Unabhängigkeit der Justiz ernst nehmen, Josef - und das unterscheidet die hiesige politisch orientierte Öffentlichkeit denn doch noch deutlich von der in Ungarn oder Polen (oder, oder...) -, dann muss man dem BVerfG zubilligen, das es bei seinen Entscheidungen nicht darauf achtet, wie sie wohl andernorts instrumentalisiert werden könnten. Dass der alte Querulant Gauweiler und sonstige rechtsnationale Konsorten sich auch nur zum teil bestätigt sehen, muss man auch hinnehmen. Eine political correctness kann beim Verfassungsgericht nicht handlungsleitend sein. (Dem guten Mann Andreas Voßkuhle unterstelle ich übrigens nichts weniger als eine Neigung zum Rechtspopulismus.)

Das Inhaltliche mal beiseite, ist das Revoluzzerhafte an diesem Urteil in meinen Augen, dass ein im Rang nachgeordnetes Gericht wie das deutsche Verfassungsgericht ein europäisches Obergericht derart rügt und damit in der Autorität schwächt. Aber was will man machen; auch Spitzenjuristen können sich irren.
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Re: Historisches Urteil

#17 Beitrag von Schwejk » Mi 6. Mai 2020, 22:51

Sorry, El Emma, ich lese mich nicht die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen. Weder des einen noch des anderen Gerichts. Entnimmst du das wirklich meinen Zeilen? Sollte mich allerdings doch ein bisserl wundern.
Vielmehr richte ich meinen Blick auf die selbstredend nicht intendierten, logo, nicht von rechtspopulistischen Impulsen angetriebene und gesteuerte, vielmehr autokratischer Politik in die Karten spielende Nebenfolgen der von dir als "revoluzzerhaft" bezeichneten BVerfGE, indem ich also nicht die Intention, sondern die Funktion dieses Urteils in den Blick hebe.
Ob diese politologische oder soziologische Sichtweise nicht auch in juristische Erörterungen eingehen sollte, lasse ich mal dahingestellt. Implizit tut sie das ja ohnehin. Wie auch anders?

Insofern sehe ich einen durchaus zugestandenen, eher wohlfeilen "revoluzzerhaften" Triumph des nachgeordneten Gerichts und einen von ihm erzeugten Scheinnutzen im konkreten Politikfeld der EZB erkauft durch einen gravierenden, sich verhängnisvoll auswirkenden Kollateralschaden für die Verteidigung demokratischer Werte und rechtstaatlicher Normen. Der ungewollte Nutzen fällt den Unappetitlichen zu. Wie gesagt: Ergebnis einer Funktionalbetrachtung, die niemals außer acht gelassen werden sollte.
Das wußten schon die Altvorderen: "Quidquid agis, prudenter agas et respice finem". Wohl eher ein Fremdkörper im Rechtspositivismus. ;-)
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Re: Historisches Urteil

#18 Beitrag von Schwejk » Fr 8. Mai 2020, 14:08

EuGH pocht auf alleinige Zuständigkeit
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu EZB-Anleihekäufen hat für Irritation gesorgt. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof deutlich gemacht, dass nur er in solchen Fragen zuständig ist.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/anlei ... ceab422eb0

Und nu? Welch beiden Gerichten übergeordnete Distanz kann den Streit denn nun entscheiden, zumindest schlichten??

Why not me for instance. ;-)
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Re: Historisches Urteil

#19 Beitrag von El Emma » Sa 9. Mai 2020, 12:44

Dir persönlich, lieber Josef, untetstelle ich den Hang zum Rechtspopulistischen natürlich noch viel weniger als dem PräsBVerfG. ;) Du hast ja auch zunächst einmal zitiert und das Zitierte nicht unbedingt als dein Statement vorgestellt.

Bedenke das Ende, ja! Das hat Politik zum Maßstab zu machen. Doch in der Justiz darf der Grundsatz eigentlich nicht gelten, wenn sie wirklich unabhängig urteilen können soll. Nicht von ungefähr trägt die allegorische Justitia ja eine Augenbinde.

Ich weiß, das ist kontrafaktisch und gilt selbst für die stets sich objektiv gerierende Richterschaft hierzulande nur sehr eingeschränkt. Welcher Richter könnte sich davon gänzlich frei machen, dass seine persönlichen Ansichten und Überzeugungen (sofern Richter denn welche haben 8-)) und wenn auch nur im Unterbewussten in ein Urteil einfließen.
Ich kann mir aber vorstellen, dass das BVG im vorliegenden Fall beharrlich genau an dieser Linie entlang marschiert ist: das für Rechtens zu befinden, was man nach Würdigung aller juristischen Umstände und mit ausdrücklicher Ignoranz der politischen Kollateralschäden für rechtmäßig hält. Juristischer Purismus, sozusagen. Wer, wenn nicht ein Verfassungsgericht könnte sich das herausnehmen? Den Shitstorm, der nun über sie hereinbricht, werden sie dabei auch in Kauf genommen haben.

Aber um zu behaupten, dass es so gewesen sein muss, dafür bin ich nun doch ein zu kleines Licht.
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Re: Historisches Urteil

#20 Beitrag von Schwejk » Sa 9. Mai 2020, 14:04

El Emma, nun, ja, daß du den Eindruck gewonnen haben könntest, meinen Zeilen seien rechtspopulistische Tendenzen abzulesen, habe ich dir of course nicht unterstellt. Bewahre! Ich habe schließlich einen besseren Eindruck von deiner Urteilsfähigkeit. Aber man muß ja nicht zwingend jener Denkungsart zuneigen, um in den Verdacht zu geraten, die Unabhängigkeit der Justiz nicht ernst zu nehmen. Und btw. sicherlich unnötig zu betonen: Eine Urteilsschelte ist nicht identisch mit einer Attacke auf jene Unabhängigkeit.

Nicht nur die Politik, sondern auch die Justiz hat imho das "Ende zu bedenken", schließlich berührt dieses auch die Interessen ("Nebenfolgen") der vom Urteil nicht (mittelbar und unmittelbar betroffenen) begünstigten Partei. Auch das Einbeziehen von "Nebenfolgen" sind imho Teil einer Güterabwägung, es sei denn, man folge weltfremd einem strikt rechtspositivistischen Verständnis von Recht und Rechtsanwendung.

Sicherlich hat eine rechtsstaatlich orientierte Justiz ohne Ansehen der Person zu urteilen. Allein, auch die allegorisch umgebundene Augenbinde verhindert gottlob nicht, daß Gesellschaftliches in den Kopf des Urteilenden gerät, nein: dort bereits eingenistet ist. ;-). Schließlich agieren Richter nicht als weltenthobene "Transzendentalsubjekte", die hoch über dem Ameisengewimmel widerstreitender Einzelinteressen majestätisch von den Zinnen göttlicher Weisheit herab ihre Verfügungen treffen, sondern sie sind nicht nur faktisch, sondern auch begriffsnotwendig in gesellschaftliche Prozesse eingebunden, ohne jedoch in rechtsstaatlich verfaßten Staaten irgendwelchen Direktiven der Politik unterworfen zu sein.

Mal etwas vor die Klammer Gesetztes:
Die Perspektive macht die Wahrnehmung, ein Verweis auf die wissenssoziologische Betonung des Zusammenhangs von "Erkenntnis und Interesse, der auch in "Erkenntnisinteresse" aufscheint.
Schopenhauer bringt diesen Zusammenhang schön zur Anschauung: Unser Erkennen wird von unserem Wollen, unsern Neigungen durchweg korrumpiert, bestochen, verfälscht: was unserem Herzen widerstrebt, das läßt unser Kopf nicht ein. Und man denke, dies gilt sogar für Richter, auch wenn sie glauben, sich diesem Wirkgesetz entziehen zu können.

In der Klammer möge dann stehen:
Offensichtlich kann dem BVerfG-Urteil nicht mehr als ein symbolischer (bloß formaler, kaum materialer/substantieller) Korrektureffekt für die EZB-Politik zugemessen werden, indem ihr bloß abverlangt wird, ihre Maßnahmen hinreichend zu begründen. Das dürfte ihr ohnehin nicht schwerfallen. Schließlich hat noch jede – wie auch immer fragwürdige - Maßnahme ihre Begründung gefunden. Das nachträgliche Wort formte noch stets die vorgängige Tat.

Was nun genau trieb das BVerfG hier an? So where is the beef?
Wenn also der angezielte Effekt eh nur darin besteht, der EZB eine ausführliche Verbalisierung ihrer Entscheidungsgründe einschließlich der reichlich auch von ihr diskutierten und im öffentlichen Diskurs reichlich abgehandelten Nebenwirkungen für ihr Ankaufprogramm aufzudrücken, so fragt sich, ob angesichts dieses beinahe grotesk anmutenden bescheidenen Ergebnisses der Verfassungsbeschwerde von Gauweiler & Co. nicht hätte anders abgeholfen werden können, zumal de facto die Kläger ohnehin ihr Ziel verfehlt haben.
Ist der Blick zu böse, wenn man vermutet, dem Gericht sei es allzu sehr auf einen "revoluzzerhaften Triumph" angekommen, auf eine Machtdemonstration, die billigend eine Schwächung der europäischen Rechtsgemeinschaft in Kauf nimmt? Ich denke: Der Preis ist so oder so zu hoch.

Daher stimme ich (not very surprisingly) dieser Bewertung zu, die ich jedoch nicht als Bestandteil eines Shitstorms auffasse:
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) für Staatsanleihen ist weltfremd und anmaßend, ja geradezu lächerlich und gefährlich. (…)
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